Mittwoch, 20. März 2019

Eiserner Rhein, Ausgabe 4

EISERNER RHEIN No. 4: "Am Ende der Tage"






Vorwort


Ein seltsamer Teich
(Herr Syndrom)

Gabelung
(Gordon B.)

Der letzte Glockenschlag I
(Filia Umbrae)

Der letzte Glockenschlag II
(Filia Umbrae)

Betrachtung des Weltgerichtsportals zu Sankt Sebald
(Cătălin Păduraru)

Am Ende der Tage
(Ralph Engelmann)

Die Sage vom Kaiser Karl im Karlsberg bei oder in Fürth
(R. Roland und T. Amann)

W. oder eine Hommage
(Versandabteilung)


Die Sage vom Kaiser Karl im Karlsberg

In einer alten Sage, so R. Roland, sitzt der Kaiser Karl seit langer, langer Zeit in einem sagenhaften Berge, dem Karlsberg, der irgendwo in Fürth sein soll. Dort hockt er auf seinem Thron, umgeben von seinen treuesten Kämpen und erwartet das Weltende, bzw. die Zeit kurz davor, um dann aufzustehen, den Berg zu verlassen, und das Volk dann noch schnell in eine neue große Zeit zu führen. Zwischen Nürnberg und Fürth währt, wie jeder Franke weiß, seit ebenso langen Jahren eine gewisse Rivalität. So ergab es sich in früheren Zeiten, dass der Rat der Stadt Nürnberg unbedingt wissen wollte, was an der Karlsberg-Geschichte dran ist. Aufgrund der erwähnten Rivalität konnte man nun aber wegen der besagten Fehde schlecht nach Fürth hinüberreiten um dort anzufragen und im Rahmen der Amtshilfe um abschließende Klärung bitten. Wie es nun eine schöner Zufall oder die Vorsehung wollte, war ebenso aus alten Geschichten zu entnehmen, dass im Tiefen Brunnen auf der Nürnberger Kaiserburg ein Stollen beginnt, der in eben diesen Karlsberg hineinführen soll. Der Stadtrat zu Nürnberg war zu allen Zeiten immer gut darin, andere eine wichtige Arbeit machen zu lassen. Daher beriet man sich kurz, und entschied dann, was man tun wollte: Im Kerker hockte zu dieser Zeit ein armes Männla, das aufgrund irgendeines harmloseren Kapitalverbrechens zum Tode verurteilt gewesen war (Das muss also noch vor der Erfindung der Menschenrechte gewesen sein. Anm. d. Verfassers R. Roland). Die feinen Ratsherren ließen also diesen Burschen anschleppen und sagten ihm: „Höre! Wir geben dir eine feine Möglichkeit, dich zu bewähren und deine Todesstrafe in lebenslange Haft im Turm bei Wasser und Brot umzuwandeln. Alles, was du tun musst, ist dich in den Tiefen Brunnen hinunterseilen zu lassen und von dort unten aus einen kleinen Spaziergang in den Karlsberg in Fürth zu unternehmen und zu prüfen, ob es stimmt, dass dort unser guter Kaiser Karl sitzt und das Weltende erwartet. Kommst du lebendig zurück, soll dir Gnade widerfahren. Was meinst du?“
Das Männla hat natürlich nicht lang überlegen müssen, und so kam man denn überein. An einem schönen Freitagvormittag führte man den Mann zum Tiefen Brunnen hin und ließ ihn an einem dicken Kälberstrick in den, seinem Namen entsprechend, wirklich sehr tiefen Tiefen Brunnen hinab. Unten war's finster, wie man glauben kann, aber der Verbrecher wusste, dass er nur diese eine Chance hatte. So zündete er sich denn die einzige Kerze an, die ihm die Obrigkeit mitgegeben hatte, und stapfte los, durch das knietiefe Wasser in die Dunkelheit hinein.

Nach einer Zeit erreichte der Nürnberger Galgenvogel auch tatsächlich das Ende des Tunnels und er sah dort eine große, hölzerne Tür, die eigentlich fast schon ein Tor war. Diese öffnete er vorsichtig und trat in eine Halle. Ach, was sah unser Mann dort? Eine hohe Halle, voller Silber, Gold und Edelsteinen. Und an ihrem Ende saß auf einem steinernen Throne, wie es in den alten Geschichten auch erzählt wird, der Kaiser Karl, mit langem weißem Bart, umgeben von seinen treuesten Rittern, Kaiser wie Ritter in tiefen Schlaf versunken. Da dachte sich unser fränkischer Gauner, wenn er hier schon sein Leben riskierte und als Dank dafür nur minimale Erleichterung seines Urteils zu erwarten habe, so wollte er sich wohl an dem Schatz bedienen. Ein kleines Edelsteinchen würde niemand bemerken, und er könnte dann, wenn die nächste Besuchszeit im Kerker da wäre, seiner Frau durch die eisernen Stäbe hindurch das Steinchen reichen und hätte somit zumindest ein bisschen zum Unterhalt seiner Frau und der vielen Kinder, die mit dem aus juristischen Gründen permanent abwesenden Vater als Hypothek leben und aufwachsen mussten, beitragen können. So machte es der Gauner dann, mit schnellen langen Fingern packte er sich so einen Glitzerstein und steckte ihn in seine Manteltasche. Da aber, als er solches getan hatte, öffneten die Ritter die Augen und begannen, sich müde und fragend umzusehen. Den Verbrecher überkam da schreckliche Angst und er rannte schnell wieder durch das Tor hinaus, im Eilmarsch durch den Tunnel, und zurück. Am Ausgangspunkt angekommen zog er wie verrückt am Seil und rief nach oben. Man zog ihn hinauf und befragte ihn. Die von ihm erzählte Geschichte klang aber gar zu fantastisch, und da die Ratsherren ohnehin mehr oder minder nach einer Ausrede suchten, unser Männla hängen zu lassen, sagten sie ihm geradeheraus, dass man ihm kein Wort glaube und darüber hinaus natürlich schwer enttäuscht von so einer dreisten Lüge sei. Da zog der aus der Unterwelt wieder ans Licht Gekommene den Edelstein aus seiner Tasche hervor und hielt ihn den Ratsherren unter die Nase. „Suu! Dou! Schauts!“ („So! Da! Schaut!“). Da mussten sie ihm glauben und die Strafumwandlung ging ihren entsprechenden Gang. Den Stein haben die hohen Herren aber natürlich behalten. So hockte der Verbrecher weiter in seinem Turm und wird unzählige Male von seiner Frau verflucht worden sein. (Scheiden lassen ging damals, vermutet Herr Roland, auch bei solchen Anlässen nicht ohne gewisse Probleme.)

Man erzählt sich, dass man in der Nacht auf den ersten Mai im Schacht des Tiefen Brunnens Pferdegetrappel hören kann. Das ist dann, wie die Sage weiß, der Kaiser Karl, der mit seinen Rittern die Pferde ausreitet und unten im Brunnen trinken lässt.

Irgendwoher will Herr Roland auch eine Geschichte haben, dass einst ein deutsch-böhmischer Privatgelehrter Namens Naihauser die Stadt Nürnberg besuchte, um dort selbst in den Tiefen Brunnen hinunterzusteigen um sich unten (sei es wegen der Sage, sei es aus einer mit Forschergeist bemäntelter Abenteuerlust heraus) im Brunnenschacht näher umzusehen. Ob was draus geworden ist, weiß Herr Roland aber nicht. Und weil man nichts drüber weiß, kann es durchaus sein, dass der Naihauser nur in irgendeiner Nürnberger Bierwirtschaft geendet ist und sich dort den Brunnen noch tiefer gesoffen hat.

Über die Lage des Karlsberges zu Fürth gibt es widersprüchliche Aussagen. Angeblich soll er sich in den Pegnitzauen nahe des heutigen Fürther Stadtparks befunden haben. Alte Karten verzeichnen dort noch einen Hügel namens „Kaiser Karlsberg“. Diesen Hügel gibt es heute aber nicht mehr. Warum auch immer. Manche ganz demokratische und friedliche Geister wollen auch wissen, dass der Karlsberg in Wahrheit genau an der Stadtgrenze gelegen hat bzw. liegt. Ganz sicher beweisen kann man aber auch das nicht. Vielleicht hat man dort auch das Geschäft vom Reifen Werner oder eine Apotheke drübergebaut.

In jedem Fall spannend ist aber noch die Sache mit dem Weltende und des Kaisers Wiederkunft. Wie das wohl ablaufen wird? Und ob sich der große Karl auf die teils durchwachsenen Spielergebnisse vom Club psychisch vorbereitet hat? Man weiß es nicht. Andererseits hat sich ja auch gerade in der Welt des Profisports viel verändert, seit der Karl in seinen Berg gestiegen ist, meint Herr Roland, und somit kann auch gar nicht sicher gesagt werden, ob ihn, den Kaiser Karl, z. B. Fußball im Endeffekt überhaupt interessiert.


Text: R. Roland u. T. Amann

Am Ende der Tage

Die Gewissheit des Endes, sie resümiert das Leben,
darüber, was Du konntest Deiner Umwelt wohl geben -
war es von Güte und friedlichem Einfluß geprägt
oder hattest Du gierig an den Ästen von Zeitgenossen gesägt!
 
Das Gericht Deines Gewissens begegnet Dir auf Deinem letzten Ruhekissen -
dort blickst Du auf Dein irdisches Dasein zurück und wirst selbst endlich wissen,
ob Du künftig wirst in paradiesischen Sphären wohl schwelken
oder in der heißen Hölle wirst unter Qualen vollends verwelken!
 
Wer Gutes tut, der kehrt bis zu sieben Male auf die Erde zurück,
denn er brachte und bringt unserer Welt nur Wahrheit und Glück!
Wer Schlechtes führte immer nur arglistig im Schilde,
über den urteilt im Tode der Ewige keinesfalls milde!
 
Darum hat der Ehrliche niemals Angst vor dem Scheiden,
musste er auf Erden auch noch so viel Unrecht erleiden!
Es bleibt die Hoffnung auf eine erneute Wiederkehr,
um abermals zu Streiten, um Recht und um Ehr´!
 
 

Ralph Engelmann - Seit einem Schlüsselerlebnis im Herbst 1992 schreibe ich Gedichte zu allen bewegenden Lebensfragen, um meine Meinung darüber auszudrücken. Ich schreibe über persönliche Erlebnisse, meine individuelle Sicht auf unsere Gesellschaft, die Politik und Geschichte dieser Welt. Dieses schöne Hobby vermittelt mir, in dieser oftmals der Mitmenschlichkeit entrückten, materialistischen Gesellschaft, eine Art Lebensmotor, um trotz allem noch Freude am Dasein zu finden und Menschen zu begegnen, denen man mit den Versen auch eine Freude vermitteln kann.

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

was Sie vor sich sehen, ist die nun vierte Ausgabe des Magazins "Eiserner Rhein" und wie immer sind wir als Redaktion sehr froh und dankbar über die vielen Beiträge und interessanten Autoren. Danke an dieser Stelle.

Wir möchten diese kurze Einleitung nutzen, auf ein Gesuch in eigener Sache hinzuweisen:
Die Redaktion des Magazins "Eiserner Rhein" ist derzeit auf der Suche nach einem Kolumnisten für regelmäßige Beiträge, die relativ frei zum jeweiligen Überthema der Ausgabe passen sollen. Denkbar ist Vieles, von Naturbeobachtungen, Gedankengängen, Gedankenärchäologie bis hin zu milder Polemik. Voraussetzungen sind eine gewisse Schreiberfahrung in irgendeiner Form, eine ausgeprägte eigene Weltanschauung und den Willen, diese in Essayform zuverlässig und pünktlich auf das Papier zu bringen. Eine gesunde Portion Wahnsinn und Humor sind ebenfalls auf keinen Fall fehl am Platz. Am wichtigsten ist aber, dass wir als Stammbesetzung gut mit der Kandidatin oder dem Kandidaten zusammenarbeiten können (man nennt's "Sympathie".).

Lust bekommen? Wir bitten um Nachricht an eiserner-rhein (a) damande.net.


Die nächste Ausgabe unseres Magazins erscheint voraussichtlich im Sommer bis Spätsommer 2019. Sie wir den Titel "Oftmals leuchtete mir der Mond bei meinen mitternächtlichen Arbeiten." tragen.  Den genauen Termin wird man auf dieser Seite oder unserer Facebook-Seite erfahren können.

Es grüßt

Die Redaktion

W oder eine Hommage

“W oder eine Hommage" 

Mitten auf dem Platz im Kreisel saßen wir uns gegenüber und es stürmte und regnete und sicher war es ein Tag im November.   

Auf deiner Seite ging es zur Autobahn, auf meiner ganz woandershin ("War es schon vorher kalt zwischen uns?", möchte ich dich heute gerne fragen). Vor dem Regen schützte uns ein Klettergebüsch, ringsherum und hoch gewachsen, über unsere Köpfe hinweg. "Dornröschenzaun" hast Du dazu gesagt, das weiß ich noch. Es dämpfte kaum den auf- und abschwellende Lärm einer Stadt im Herbst, kaum von uns entfernt, eine Mischung aus Autokrach, Regen und Wind. Waren die Autos für einen Moment ruhiger, hörte man ihn das Laub verwirbeln.   

"Niemand kann uns sehen", sagtest Du noch.  

Wir beide waren froh, genau hier zu sein ("Sag, stimmt es?", mag ich dich fragen und auffordernd angucken), vielleicht gerade weil es albern war, sich genau hier zu treffen, in der Mitte zwischen unseren Städten. Deine war alt, bräsig, katholisch und das gefiel mir; meine versprach Freiheit vor deinem Alltag (ich glaube, dass dir das gefiel). Hier wohnte nur, wer es sich nicht woanders leisten konnte oder weil Oma noch etwas Bauland hatte; dort wo früher die Apfelbäume blühten, hinter den Bahngleisen. Bald würden wir wieder fort sein, in unseren Städten oder vielleicht doch bei dir, nur für ein paar Stunden --   

Wir spielten wieder dieses dumme Spiel.  

Ich wollte wieder dieses dumme Spiel spielen. "Erzähl mir ein Geheimnis", wollte ich sagen. Und traute mich nicht. Zum Zweifeln aber hatte ich Mut: Wäre es nicht ein Trick, um Nähe herzustellen? Geschichten erzählen, die persönlich sein sollen und nicht ohne Superlativ auskommen, Erzählungen vom Peinlichsten, von Noch-Nies und dem Verstecktesten. Ich wollte etwas hören, von dir etwas hören, das mich meint, das dich für mich erzählt, ausgesprochen in Verletzlichkeit. Hat es etwas unaufrichtiges, die Teilnahme an so einer Erzählung einzufordern? Ist es ein dummes Spiel? Gar brutal? ("Was gibt es sonst?", würde ich gerne jemandem, vielleicht dir, zuflüstern, kaum verständlich, weggenuschelt.) Und traute mich nicht.  

Aber Du sagtest damals, als ich den Autos und dem Regen zuhörte und schwieg: "Komm, erzähl mir ein Geheimnis. Ich erzähl dir auch eines von mir. Versprich: Du sagst es nicht weiter!".   

"Ich fang an!", sagtest Du kurz darauf.  

"Ich wollte immer schöner sein, auch als ich noch ganz klein war". Jedes Wort hörte sich an, als ob es einen langen Weg zurückgelegt hatte. Vielleicht von deinem Kopf in deinen Mund über den Umweg einiger Zensurstellen, die es nur gegen Widerstand passieren konnte. Was dabei wohl mit ihm passiert war?  Können verletzliche Worte gepanzert sein?   

Du erzähltest davon, dass Du den Zopf, den dir deine Mutter abgeschnitten hatte, hinten im Schrank versteckest, vor Jahren, genau an der Stelle wo andere Kinder den Eingang zu einer anderen Welt vermuten. In einer kalten Nacht, sagtest Du, hast du ihn erausgeholt und angezündet, im Garten. Dann das wisse ja jedes Kind: "Hexerei erfordert Opfer".   

"Eine Zutat für einen Zauberspruch war das. Ich wollte schöner werden, zauberhaft schön". Du hattest davon gesprochen, wie der alte Zopf knisternd brannte, und es Nacht war, bestimmt schon nach 10 Uhr, und Du hexenböse durch das Rosenbeet gestampft bist. "Das war hinten bei der Regentonne, weißt Du", hattest Du noch lakonisch nachgesetzt, einen Moment auflachend, nur um im nächsten wieder ernst zu werden und schwer zu sprechen. "Ich habe das noch nie jemandem erzählt."   

"Jetzt Du", sagtest Du forsch mich ansehend und schnell wegguckend, als wärst Du nicht schon bestimmt über 30, wirklich alt also, so wie ich auch bald.  

"Weißt Du, ich mag W.", brachte ich heraus, vernuschelt, allein das Wort W. überbetont, als zöge es mich herunter, ankergleich, als wäre bereits die Aussprache ein Kraftakt. "Eigentlich schäme ich mich nicht mehr dafür, zumindest in der Anwesenheit der richtigen Personen --", bevor ich den Satz beenden konnte, hattest Du mich unterbrochen, laut ausrufend, "Was soll das denn! Immer diese Abstraktion! Du solltest eine Geschichte erzählen!". Ich konnte nur, irritiert war ich, beobachten, was passiert war. "Die Spiegelregel ist 'Keine Unterbrechung!'", warf ich, die Situation fliehend, schiedsrichterseinwollend, ein.  

Warst Du verärgert, als ich weiter sprach? So wie ich eben spreche?  (Ich habe doch nur diese Worte; "magst Du mir andere geben?", hätte ich gerne gesagt und dich angeguckt und schnell fortgeblickt).  

Und ich wollte fortsetzen, weiter spielen, doch Du warst nicht mehr einverstanden. Stand dein Dornröschenzaun noch? Ich hätte schon den Blick abgewendet, als ich nachsetze, mit rotem Gesicht, geschützt im Herbsthalblicht: “Mit der richtigen Person." Und traute mich nicht dem Faden weiter zu folgen, den ich so zufällig an deinem Rocksaum gefunden hatte, nutzlos baumelnd.   

Wohin er uns geführt hätte?  

Ich hätte dich fragen wollen: Weißt Du noch, wie wir über den Zaun geklettert sind, um dann auf dem Schulhof zu stehen und auch nicht zu wissen, was nun? Wie wir vom Sandhügel rannten und fielen bei der Baustelle? Wie Du dumme, alberne, zweifelhafte Spiele spielen wolltest und ich sie spielen konnte, weil Du ja da warst? Und wie ich nervös wurde, kurz nachdem die Spielregeln nicht mehr die Situation regierten?   

Hatte ich das gesagt?   

(Was hatte ich gesagt? Damals im Kreisel, während die Autos rauschten und der Regen fiel und die Wind blies und wir geschützt waren: Es klingt alles falsch. Wir hätten Worte erfunden und es hätte Metaphern gestürmt, wir hätten die Phantasien anprobiert wie zufällig gefundene Kleidung, die vorher nutzlos in irgendeinem fremden Keller lag; unsicher noch, ob es Kostüme sind, tauglich nur für den Moment, dort wo der Alltag nicht hinscheint.)  

Ich weiß noch, wie Du geantwortet hast.   

“Du kannst machen, was Du willst", sagtest Du und schautest mich dabei nicht an.  

Dann brach der Regen durch. Unser Kreisel schützte uns nun nicht mehr, wir beide nass, und ich rannte zur Bahn in meine Richtung und Du in die andere. Vielleicht war das keine gute Idee, dir das im Herbststurm zu erzählen, der doch die Aufgabe hat, das Tote von den Bäumen zu tragen, in dem das Nochwarme gegen das Schonkalte kämpft, hier im November oder vielleicht noch im Oktober ("die Trauben aber waren schon geerntet", hättest Du vielleicht gesagt). Sicher ist, ich habe es gelesen: Erst im Frühling, im ersten warmen Licht, entsteht das Neue.


Text: Versandabteilung

Betrachtung des Weltgerichtsportals zu Sankt Sebald



Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen; und auf Erden wird den Leuten bange sein, und sie werden zagen, und das Meer und die Wassermengen werden brausen, und Menschen werden verschmachten vor Furcht und vor Warten der Dinge, die kommen sollen auf Erden; denn auch der Himmel Kräfte werden sich bewegen“
- Lukas 21,25-26


Bei Sankt Sebald im Winter. Im Nürnberger Winter, dem wolkendurchzog'nen, stehe ich, ein fremder Mann, bei grauem Wetter und wenig Licht nur: von Westen her, betrachte das Portal des Weltgerichts. Ich sehe Christus und seine Engel und sehe die Trompeten des Gerichts. Und vor mir und neben mir laufen Menschen vorbei, eilig, eingemummelt, und mümmeln an ihren Imbissen und Snacks und trinken zu schnell zu heißen Kaffee. Schauen nicht und sehen nicht und warten nicht. Vor mir das steinerne Portal mit der Szene des Weltgerichts, siebenhundert Jahre alt. Eine steinerne Mahnung - höre ich sie? Eine steinerne Erwartung - warte ich auch? Auch eine Hoffnung - und hoffe ich?
Und ich sehe den Christus, auf den Wolken herkommen, und all seine Engel, und höre den Klang der Gerichtstrompete, und sehe: links laufen sie hin, die Guten, die Frommen, die Heiligen, zur Seligkeit und zu ihrem Lohn. Und sehe: rechts die Verdammten, die Bösen, die Mörder und Sünder, rennend ins Verderben, und ich höre das Lachen der Teufel und Bestien und Dämonen; und höre den Klang der letzten Stunde, und spüre den Atem des großen Ungeheuers...

Von links und rechts, neben der Kirche, und steinwurfweit vom Kirchentor weg, schreien mir Zeitungen ins Ohr, ihren Schlagzeilenlärm und ihre Forderungen, ihr gutes Wissen und noch bess'res Gewissen, ihre Drohungen und ihr Werben, ihre Meinungen. Und daneben laufen die Menschen, wie immer, winterkalt, und große Leere breitet sich aus über der Winterstadt, in ihrem kalten Licht und ihren sterbenden und toten Geräuschen. Da merke ich das Endzeitbrausen, und die Wolke, die plötzlich dahinzieht, atmet Fahrtwind. Dort, über mir! Und das künstliche Lichtermeer auf dem Rathausplatz und dem Hauptmarkt und am Schönen Brunnen, wo die Leute schnell noch am Ring drehen, sich etwas wünschen, weil's guttut. Jeder hier wünscht; aber sehnen? Jeder hier wünscht; Aber Hoffnung? Aber Sehnsucht und Willen und Feuer? Und aufreißender Himmel und Blutmond und Engel und alles und eines in Ewigkeit? „Und wie ist's in dir, du fremder, steinerner Mann vor dem Weltgerichtsportal?“ fragen die Steinengel mich selbst und ich höre von fern den Klang der Trompete.

Das Portal sah Stadträte, Touristen, Prediger, Kinder, Schüler, Hüte auf den Köpfen, Uniformen am Leib, darüber Wolken, wie Schafe, und nur dieser eine gleichgültige Himmel, der alles abnickt. Es sah über die Stadt gehende Flammen, sah Ruinen, sah Eifer und Fleiß, hörte die Stimme von Heiligen und Hetzern, den Lärm der Zeitschriftenschreiber, in Schlagzeilen gepresst, sah auch wieder die Menschen, die raschen Schritts vorbeieilten, einen schnellen Schnappschuss weit, zum Weinmarkt hoch, die Treppe runter, vor der heute ein Schild steht: „Erhebet die Herzen!“

Die Treppe runter, Erhebet die Herzen, ihr Frauen und Männer!, nach links oder rechts, wo geht es lang? Und ständig lärmen die Schlagzeilen, die Mode wechselt, in siebenhundert Jahren und darüber hinaus, und hin zur Burg und auf zum Markt, und immer mehr Drängen, und künstliches Licht leuchtet blass, und ständig wechseln die Lichtgestalten. Und darüber nur dieser eine gleichgültige Himmel, der alles abnickt. Und man hört ein Raunen und Schreien in der Volksmasse, zum Ende hin, und mehr und mehr und immer mehr, bis alles zur Attraktion verkommt, schale Sensationen, nur einen Schnappschuss weit im Telefon, im Fadenkreuz der rasenden Winterwelt, und mehr und mehr und immer mehr; und wir hören den Klang der Trompete.

Und da erhebt er sich jetzt: der Wind! Bringt Feuer und Glut jetzt, zerdrückt die Bleiglasfenster der Kirche zum Scherbenspiel, wie Schusser taumeln die Quader, zerdrückt auch das Rathaus; und wischt seine Steine beiseite wie Sand. Die gotischen Kathedralen zerfallen, die Häuser glühen rot auf, Turm und Türe zerstürzt, wie Plastikmüll auf die fasrigen und totgelaufenen und längst müden Straßen der Winterstadt hinunter. Der Wind tobt weiter, vorbei das Laufen der Menschen durch Gassen und über Wege und Alleen hinweg. Tot und zerfallen ist die Welt, vorbei auch endlich mein Grübeln...

Und wer weiß, vielleicht schauen wir danach eine neue Welt? Fort der Betrachter und Grübler. Fort Kirche und fort das Portal. Nur noch der Wind, der im stillen Licht durch die Apfelblüte rauscht; für immer treu.


Illustration: Gordon B.
Text: Cătălin Păduraru

Der letzte Glockenschlag II

In jedem Glockenschlag liegt Stille,
die wohlgedenks sich überlegt,
was sein soll uns’res Daseins Wille,
der unzerrüttet aufrecht steht.

Er mahnt uns wohl, der strenge Klang,
der Schneisen, die unsere Schritte,
unser freudig-froher Gang
durch’s Leben ziehen mit jedem Tritte.

Und doch, so merket auf, ihr Herzen,
wie lange, bis der Schlag verhallt?
Ei, lasst uns hoffen, lasst uns scherzen,
bald sind wir mürbe, sind wir alt.

Wir trotten nicht, werte Natur,
wir tanzen alle Sinne weit,
und nicht nur Schwefel ist die Spur,
die Menschen malen in der Zeit.

Wenn dereinst alle Tage enden,
so ist unser Gewinn die Kunst.
Wir tragen Licht in uns’ren Händen,
und schreiten stark durch Dampf und Dunst.

Der letzte Schlag, er kommt zur Nacht,
wenn einig wir um’s Feuer sitzen,
wenn man die Freude sich erlacht,
und kühlt sich von des Tages Hitzen.

Wir müssen ja nicht weitergehen,
auf jenen Wegen, die aus Holz
uns schon im Abgrund liegen sehen.
Flexibel ist der Mensch, nicht stolz!

Drum, letzter Glockenschlag, erkling,
bis man die Sterne leuchten sieht!
Denn wer kein Requiem mehr singt,
schreibt morgen schon ein neues Lied.

Text: Filia Umbrae

Der letzte Glockenschlag I

Der letzte Glockenschlag erklingt,
die Blumen neigen sich zur Nacht,
kein neuer Tag wurde erdacht,
wo nun die letzte Saite schwingt.

Welt, du speist die Erde an,
und wirfst ihr gleichsam mahnend vor,
dass sie sich euch zur Art erkor,
die sich das Königtum ersann.

Oh, Herrscher über alle Erde,
wie lange, bis der Schlag verhallt?
Bis alles schmolz, das dereinst kalt
womöglich nie mehr heilen werde?

Wir trotten stetig weiter hin,
machen uns alles untertan,
das uns das Dasein trägt heran,
und nennen den Verfall Gewinn.

Der letzte Schlag, er kommt zur Nacht,
auch wenn wir ihn noch leugnen wollen,
wo uns’re Wagen niederrollen,
was die Natur sich hat erdacht.

Mach weiter, Mensch, so wie bisher
doch schlägt unserer Sünden Lohn
der folgenden Generation
die Augen blind, die Münder leer.

Der letzte Glockenschlag erklingt,
der Bäume Blätter fallen schon,
und bald verhallt der letzte Ton
des Requiems, das niemand singt.

- Filia Umbrae, 12.2.2019

Gabelung






angst zu gehen unbekannt doch alles
sicher und erdrückend das hier
gibt es ein losgehen im bleiben?

die ahnung zu zerstören für neues
muss es so sein wenn es so lähmt
lähmung ist tod - bewegung das leben
doch wie bewegen wenn es nirgends hinzieht

das ziel nicht erreicht - abzweig vom weg
eingestehen annehmen doch wie
neue ziele wählen, das alte steht noch aus
der weg ist längst verschüttet siehst du das nicht?

selbst die steine auf den weg gelegt
selbst die schilder abmontiert
geröll verbaut den weg
geröll als ich
 

Text und Illustration: Gordon B.

Dienstag, 19. März 2019

Ein seltsamer Teich




Ein seltsamer Teich

Umringt von Unkraut    und Geäst
stehendes Wasser     steigt nicht noch wogt
Bäume wachsen,     blauen Gewässers
bergender Wall.

Wer wartet dort,    wenn nicht du
Sinnend auf Seelen,    sinnend auf mich?
Wie du mich schlägst    mit Schmerzen und Wahn
Was soll ich schauen?

Finsternis fällt    vor meine Augen
Ich weise mir dennoch    den Weg hin zum Teich
Dich Dirne zu fassen!    Doch vor dir im Dunkel
tauchen sie alle:

Söhne sinken    in den Sumpf
Sterben staunend    in das Nichts
Schwestern steigen    aus dem Schlamm
Zeugen zögernd    sich ins Licht

Schlaf umhüllt mich    und ich weiß:
Staunen, zögern    soll auch ich.



Hr. Syndrom, Sprachwissenschaftler, ist irgendwann in seiner Jugend aus Versehen kreativ geworden und jammert seitdem über alles, was ihn so nervt.
Seine Gedichte bewegen sich irgendwo zwischen Expressionismus, Chiffrenlyrik und altnordischer Skaldendichtung.


Text: Herr Syndrom
Illustration: Leif Günter