Donnerstag, 21. Juni 2018

Eiserner Rhein, Ausgabe 2




E I S E R N E R   R H E I N   No. 2:
"Sieg über die Sonne"



Vorwort

Die unbesiegte Sonne (Cătălin Păduraru)

Ein Sonnenlied (Gordon B.)

Johanniskrautidyll (Herr Albenreuther)
Sonnengebet (Herr Albenreuther)

Ode an den Westwind (David Fuhr)

Der Prinz und die Sonnenkönigin,
ein Märchen aus Litauen (Tobias Amann)

Mittwoch, 20. Juni 2018

Ode an den Westwind (frei n. Percey Shelley)



Wenn die Sonne auch nur kürzer noch atmet –
umgeben von Verwandten:
zieht die Nacht
über das
zu blasse Gesicht;
begrabt sie feierlich!

*

Licht aus hohen Türmen,
Stürme aus Motoren,
Boden schwillt vor Gicht.
Ist das nicht ein Strom in diesen Straßen?
Peitscht der Wind ihn nicht mit Wucht
in einer asphaltierten Bucht,
zu Blumen wie Kristallen;
blauem Moos?


Los! Los! Los! Nimm mich mit,
Friede auf Erden und Kriege,
Wahnsinn, immer werdende,
sterbende Liebe
nimm mich in dich auf, dass ich
mit dir, Wind,
durch Schluchten dieser Häuser ziehe,
in den Lüften und Lungen liege
wie Smog.




(David Fuhr)

Der Autor: David Fuhr wurde im November 1993 geboren und studiert momentan an der Universität Hamburg Politikwissenschaften.

Vorwort

Zweite Ausgabe des Magazins "Eiserner Rhein": Sieg über die Sonne.
Ikarusflüge, Glanzmomente, Abgründe. Wir wünschen viel Vergnügen bei der Lektüre!

Die nächste Ausgabe E I S E R N E R   R H E I N erscheint im Herbst oder Winter 2018.
Thematisch überschrieben wird sie "Um den Einsamen schleichen Gespenster" sein. Das genaue Erscheinungsdatum wird über unsere Facebook-Seite und rechts hier im Seitenmenü bekanntgegeben.

Einsendungen wie immer an: eiserner-rhein(a)damande.net *

*: Aus Gründen des Spamschutzes ist das @ in der E-Mail-Adresse durch (a) ersetzt. Bei Zuschriften muss natürlich ein @ verwendet werden!



Gez.

Die Redaktion

Sonnengebet

 
 
Erhebt euch ihr Menschen aus finsterer Nacht
Die eiserne Sonne steigt über die Welt
Ein rastloser Gott hat sie für uns gemacht
Und in einen endlosen Himmel gestellt.

Am Fuße der Berge soll bleiben wer mag
Ihr Äcker und Häuser bleibt steh'n wo ihr steht.
Du aber, Mensch, steig' empor dort und sag
Auf feurigem Gipfel ein Sonnengebet!

Erhebt euch ihr Menschen aus finsterer Nacht
Und lasst alle Niedrigkeit sterben!
Ein rastloser Gott hat die Sonne gemacht, 
Wir wollen den Himmel erwerben! 
 
 
 
 
 
 
Text: Herr Albenreuther
Illustration: Gordon B.

Ein Sonnenlied








Ein Sonnenlied


rückkehr der sonne
warum kann ich sie nicht sehen
sie schmerzt weil sie so gut tut
anderen
leben erwacht irgendwo
lachen trinken fleisch
beobachter ohne anteil
sehnsucht erfüllt aber doch nicht da
ohne resonanz kein eindruck
warten auf das dunkel
ruhe - fort von schmerz
ein paar stunden nur
weit weg von der sonne



(Text und Illustration: Gordon B.)

Sonntag, 17. Juni 2018

Der Prinz und die Sonnenkönigin

Der Prinz und die Sonnenkönigin
(Märchen aus Litauen, mündl. überliefert und nacherzählt)

In alter Zeit lebte in einem Königreich, dessen Hauptstadt auf einem roten Hügel stand, ein Königspaar. Königin und König hatten einen Sohn, den sie über alles liebten und beschützten. Jeden Morgen gab es für ihn weißen Quark mit Honig zu essen und Früchte aus den fernsten Winkeln des Landes. Er war in den besten Gewändern gekleidet und von allem hatte er stets nur Gutes und Auserlesenes. Vater und Mutter hätten für ihren geliebten Sohn am liebsten die Sonne vom Himmel gepflückt und ihm zum Geschenk gemacht.
Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, war der junge Prinz unglücklich und grüblerisch. Oft ging er so für sich durch die königlichen Gärten und sprach: „Ach, wenn ich doch nicht so alleine wäre und jemanden hätte, mit dem ich schwatzen und mir die Zeit vertreiben könnte...“

Nahe des königlichen Schlosses gab es einen Hof, umgeben von einer meterhohen Steinmauer, allein durch ein schweres, schmiedeeisernes Tor zugänglich, das aber Tag und Nacht verschlossen blieb und von grimmigen Wächtern bewacht wurde. Jedem im Reich, den Königssohn eingeschlossen, war streng verboten, sich dem Hof zu nähern, und die Wächter verscheuchten alle, die zu nahe an den Hof herantraten.
Eines Nachts hatte der Prinz einen Traum: ein schwarzer Rabe mit einem goldenen Ring um den Hals landete im Mondschein auf dem Fensterbrett der prinzlichen Kammer. Als der Königssohn den Vogel bemerkte, wie er da am Fenster saß, fing dieser - zur nicht geringen Verwunderung des jungen Menschen - an, zu sprechen. Der Vogel sagte: „Ich bin aus einem fernen Land jenseits des Meeres gekommen, um dir ein Geheimnis von großer Bedeutung zu verraten. Du kennst den Hof, der umgeben ist von einer hohen steinernen Mauer? In diesem Hof steht in einem blühenden Garten ein Häuschen. Darin sind deine drei Schwestern eingesperrt. Wenn du sie sehen willst, so gehe heimlich in das Gemach deiner Eltern und suche nach einem braunen Tonkrug. In diesem wirst du einen goldenen Schlüssel finden. Mit diesem Schlüssel wirst du das Tor zum Hof und die Tür zum Haus öffnen können. Aber gehe nur in der Nacht dorthin. Bei Nacht macht der Schlüssel, dass dich die Wächter am Tor nicht sehen können.“

Also sprach der Rabe, breitete seine großen, schwarzen Flügel aus und flog dahin.

Als der Prinz aus solchem Traume erwacht war, entschloss er sich sogleich, in die Kammer seiner Eltern zu schleichen um nachzuprüfen, was es mit dem, was der Rabe ihm sagte, auf sich habe. Auf leisen Sohlen schlich er durch die Gänge der königlichen Burg hin zum Zimmer des Königspaares. Die vor dem Zimmer wachenden Windhunde streichelte er sanft. Sie erkannten ihn auch und keiner der beiden begann, zu bellen. Alsdann schlich er sich durch die Türe, fand den gesuchten Tonkrug, und darin den goldenen Schlüssel. Nun gab es für ihn kein Halten mehr: Er eilte so schnell und so leise wie er konnte los, kam bald an das Tor des ummauerten Hofes – wie ihm durch den Raben angekündigt war, konnten die Torwächter ihn nicht sehen -, sperrte behutsam das Tor auf, betrat den darin liegenden Garten und erreichte dann das Häuschen in des Gartens Mitte.
Der junge Königssohn zögerte einen Moment, als er an der Tür des Hauses stand. Sollte er wirklich die Türe aufschließen? Er nahm all seine Entschlossenheit zusammen, steckte den Schlüssel in das Schloss und sperrte die Türe auf.
Da sah er - wie ihm der Rabe gesagt hatte - in der Stube seine drei Schwestern sitzen. Sie waren froh, dass er gekommen war und sie auch endlich frische Luft aus dem Garten atmen konnten. Freudig streckten sie ihm ihre lieben, weißen Händchen entgegen. Ach, doch was passierte nun? Die Erde bebte und der Himmel verfinsterte sich. Vom Himmel herab kam ein schwarzer Drache mit einem goldenen Maul. Der ergriff die drei Schwestern und nahm sie mit sich fort. Der Prinz war nun sehr bestürzt, da er seine Schwestern in ihr Unglück gestürzt hatte. Er weinte sehr und verfluchte seine Neugier. Hätte er doch nicht auf diesen unglückseligen schwarzen Raben gehört!

Als das Königspaar von dem Geschehen hörte, waren Königin und König sehr betroffen. Der König rief aus: „Ach, welch ein großes Unglück, das du über uns gebracht hast! Schon bei deiner Geburt wurden böse Vorzeichen gesehen und Unheil prophezeit! Nun, Sohn, packe dir einen Rucksack und verlasse diesen Ort! Du kannst hier fortan nicht mehr bleiben!“

Der junge Prinz weinte, tat aber, wie ihm befohlen wurde, packte einen Rucksack mit einigen Habseligkeiten und ging damit aus den Toren der Stadt, hinein in das weite Land, ohne recht ein Ziel zu wissen.

Als er so nun einige Zeit gegangen war, kam er an den Rand eines Waldes, dessen Bäume aus Eisen waren. Am Rande des Eisenwaldes stand eine Hütte. Er trat an die Tür der Hütte und klopfte an.
Eine alte, in ein schwarzes Gewand gekleidete Frau öffnete ihm die Tür. Sie sah wohl, dass es dem Jüngling, der da so allein vor ihrer Hütte stand, schlecht erging. Also bat sie ihn in die Hütte und bei einem Glas heißen Tees erzählte er seine Geschichte.
Als sie den Bericht des Prinzen gehört hatte, sagte sie: „Du wirst deine Schwestern so nie finden, denn du kennst die Welt nicht, hast auch keine Kraft und weißt kein Handwerk zu verrichten. Bleibe bei mir für drei Jahre! Ich will dich lehren, was du in der Welt brauchst und wie du dir dein Brot erwerben kannst. Durch die Arbeit hier auf dem Lande wirst du stark werden und dann wirst du es vielleicht auch schaffen, deine Schwestern zu finden und zu befreien.“
Da der Prinz selbst nicht wusste, was er besseres beginnen sollte, willigte er ein. So arbeitete er am Rande des Eisenwaldes drei Jahre, half der alten Frau, lernte auch so manches Handwerk und wurde geschickt und kräftig dabei.

Als die drei Jahre nun vorbei waren, rief die Alte den Prinzen erneut, sich zu ihr an den Holztisch in der Stube zu setzen. Sie sagte zu ihm: „Du bist mir in diesen drei Jahren wie ein Sohn geworden und ich danke dir für deine Hilfe an Haus und Hof. Und nun höre: im Eisernen Wald, der hinter dem Haus beginnt, steht ein Hügel, auf dem eine Festung, gebaut aus eisernen Quadern, steht. Dort findest du deine jüngste Schwester gefangen. Aber weiter! Im Lande hinter dem Wald aus Eisen findest du einen weiteren Wald. Die Bäume dieses Waldes sind aus Silber. Auch in diesem Wald steht ein Hügel, darauf eine silberne Burg. Deine zweite Schwester ist dort. Aber weiter! Hinter dem Silberwald ist ein Land, das von einem Wald aus Gold bedeckt wird. Auch darin steht ein Hügel, darauf eine Burg aus purem Gold. Deine älteste Schwester ist dort! Und nun ziehe dahin, mein Sohn. Möge Gott dir bei deinem Vorhaben stets beistehen!“

So ging der Prinz nun in das Dickicht des Eisenwaldes und fand, wie ihm gesagt war, den Hügel und darauf die Burg aus Eisen. Er trat ans Tor und klopfte. Ein Diener öffnete und fragte nach seinem Begehr. „Meine Schwester sehen will ich und sie aus dieser Burg befreien!“
„Sehen kannst du sie wohl.“ antwortete der Diener und bedeutete dem Königssohn, ihm zu folgen. Er führte den Prinzen in eine Kammer, in der seine Schwester auf einem, mit kunstvollen Mustern verzierten, eisernen Stuhl saß.
Wie groß war die Freude der beiden! Sie umarmten sich, redeten lange und waren froh zusammen bei Speis und Trank. Als der Abend schließlich nahte, drang der Prinz darauf, gemeinsam die Burg zu verlassen. Da wurde die jüngste Schwester traurig und sagte: „Ach, Bruder, ich kann nicht fort von hier. Mein Ehemann kehrt demnächst heim und ich will ihn nicht verlassen, denn ich liebe ihn sehr. Der Prinz erwiderte, er wolle mit dem Schwager reden, ihm alles erklären und vielleicht könne man ja gar zusammen fortgehen, um die restlichen Schwestern zu finden und zu befreien. „Ach, wäre es so einfach!“ sagte die Schwester darauf. „Wisse, dass mein Ehemann von einem Magier, dem dieser Eisenwald gehört, in einen Wolf verwandelt wurde. Mich ängstigt, er könnte dich fressen, wenn er dich entdeckt. Komm, lieber Bruder, verstecke dich in dieser Kiste hier, bevor mein Gemahl zurück ist!“

Der Bruder folgte dem Geheiß seiner Schwester und versteckte sich in einer Kiste, die am Fenster des Raumes stand. Kurz darauf öffnete sich die Tür, und herein trat der in einen Wolf verwandelte Ehemann. „Guten Abend, liebe Frau.“ sprach er und blickte sich danach gründlich im Raum um. „Sag an, ist jemand hier gewesen? Es stehen Teller und Becher auf dem Tisch!“ Da brachte es die jüngste Schwester nicht übers Herz, ihren Mann anzulügen und sagte ihm: „Mein Bruder hat mich gesucht und hat den Weg hierher in diesen Wald gefunden. Gerne führte er mich wieder zurück in das Land meiner Eltern. Oh, tu ihm nichts, ich bitte dich!“
Anders, als sie befürchtet hatte, reagierte der verhexte Ehemann nun sehr erfreut und wollte den Schwager unbedingt kennenlernen. Da kam der Königssohn aus seiner Kiste und wurde von seinem neuen Schwager herzlich begrüßt. Als man wieder bei einem Becher Wein am Tische saß, kam die Rede darauf, wie denn der arme Mensch in einen Wolf verwandelt wurde. „Sag, lieber Schwager“ setzte der Prinz zu reden an, „kann man dir nicht helfen, deine Menschengestalt zurückzugewinnen?“ Der Wolfsmensch seufzte und antwortete betrübt: „Ach, ach. Freilich ist es möglich, mich von diesem Fluch zu erlösen, der mich zwingt, bei Tag die Wälder ruhelos zu durchstreifen und der mir diese schreckliche Gestalt gegeben hat. Aber um Erlösung zu bewirken, muss jemand zur Sonnenkönigin in ihr Schloss gehen und sie darum bitten. Nur sie kann solches bewirken. Und dorthin ist bisher noch kein Sterblicher lebendig gelangt.“ „Sei nur getrost!“, redete der Prinz dem Schwager zu. „Ich will dorthin gelangen und deinen Freispruch erwirken. Hab nur Zuversicht! Gott wird mir helfen!“
Der verwunschene Schwager war hoch erfreut, schüttelte dem jungen Prinzen die Hand und umarmte ihn. Dann nahm er ein kleines Kästchen aus einem Schrank. Darin lag eine Münze aus Silber, auf die eine Sonne eingeprägt war. Diese reichte er dem Prinzen und sagte: „Das ist mein größter Schatz. Nimm diese Münze an dich. Wer weiß, vielleicht kannst du sie unterwegs gebrauchen.“
So wurde am nächsten Morgen Abschied genommen und der Prinz zog fort, dem Wald aus Silber entgegen.

Drei Tage lief der Prinz, bis er den Rand des Silberwaldes erreichte. Weitere vier Tage durchschritt er den Wald mit seinen seltsam glänzenden Bäumen, bis er abermals einen Berg erreichte, auf dem, wie ihm gesagt worden war, ebenfalls eine Burg stand. Der Prinz erklomm den Berg, trat an das Burgtor und klopfte beherzt an. Es öffnete ihm ein kleiner, dünner Mann, gekleidet in den einfachen Gewändern der Bediensteten. Wiederum ward der Prinz um sein Begehr gefragt, wiederum antwortete er, dass seine Schwester in jener Burg sei und er sie sehen wolle. Da wurden die Züge des Dieners verschlossen und mit unfreundlicher Stimme sagte er: „Nun, wer durch das Tor will, der muss Weggeld zahlen können. Wer das nicht kann, schreitet niemals durch dieses Tor. Kannst Du, junger Mann, Weggeld zahlen, das sich ziemt?“
Fast wäre der Prinz entmutigt umgekehrt, doch da fiel ihm die Münze ein, die ihm sein Schwager geschenkt hatte. „Was kann ein Versuch schaden?“, sagte er sich, griff in die Tasche, streckte dem Mann die Münze hin und rief keck: „Da, nimm's! Und lass mich nun ein.“ Und zu seinem Erstaunen steckte der Diener am Tor den Taler, nach kurzem Betrachten, tatsächlich in seine Tasche und bedeutete dem Prinzen knapp, ihm zu folgen.

Der Diener führte ihn in die Kammer seiner Schwester. Und ach!, auch hier war die Freude groß! Man fiel sich um den Hals, jubelte und die Schwester holte gleich eine Kanne guten Weins herbei. So saß man, trank und erzählte einander, was in der Zwischenzeit geschehen war. Als es dämmerte und die letzten Sonnenstrahlen durch die Fenster der Kammer drangen, fasste die Schwester den jungen Prinzen am Arm und sprach zu ihm: „Nun, mein lieber Bruder, naht die Stunde, zu der mein Gemahl nach Hause kommt. Aber wir müssen vorsichtig sein! Der Geist eines ruhelosen Toten hat ihn in ein furchtbares Ungeheuer verwandelt und ich fürchte, dass er dir etwas antun könnte, wenn er dich erblickt. So komm und verstecke dich in dieser Seitenkammer!“ Als der Prinz in die Kammer gegangen war, schloss die Schwester hinter ihm die Tür.

Kurz darauf sprang die Tür des Saals auf und herein trat ein fürchterliches Wesen mit schuppiger Haut, glühenden Kohleaugen und Klauen anstelle von Händen.
„Liebe Frau, hier bin ich!“ sprach das Ungetüm. Aber sag, riecht es hier in der Kammer nicht nach einem fremden Menschen? Hast du Besuch gehabt?“
Da trat der Prinz aus seiner Kammer, grüßte freundlich und lies sich nichts von seiner Furcht anmerken. Er sprach zu dem Ungeheuer: „Lieber Schwager! Ich bin der Bruder deiner Frau und gekommen, um sie nach Hause zu holen. Denn ich bin daran schuld, dass sie aus dem Land unserer Eltern entführt wurde.“ Der zweite Schwager blickte den Prinzen an, aber anstatt ihn, wie der Prinz befürchtet hatte, zu zerreißen, sagte er traurig: „Ach, ich verstehe diesen Wunsch gut. Auch ginge ich gerne mit euch und verließe diesen Ort lieber heute als morgen. Doch durch den Fluch eines Geistes muss ich in dieser Gestalt mein Dasein fristen und bin an diese Burg gebunden. Nur die Sonnenkönigin kann mich freisprechen. Doch niemand, der klaren Verstands ist, kann glauben, zu ihr gelangen zu können. Kein sterblicher Mensch wird je lebendig dorthin kommen.“ Da reichte der Prinz seinem neugewonnenen Schwager die Hand und sagte: „Zu eben jener Sonnenkönigin bin ich auf dem Weg. Auch für dich will ich sie bitten. Und wenn sie dich freigesprochen hat von diesem abscheulichen Fluch, so kehre ich wieder und wir werden alle zusammen diesen Ort verlassen.“
Als der Schwager merkte, wie ernst es dem Prinzen war, freute er sich sehr. Er ging zu einer Truhe, nahm daraus einen Taschenspiegel aus Gold, reichte ihm diesen und sagte: „Das ist mein wertvollster Besitz. Wer weiß, vielleicht mag er dir auf seltsame Weise noch nützen? Ich wünsche dir Glück! Wie froh will ich sein, wenn dein Vorhaben gelingt!“
So saß man noch eine Weile beisammen, trank Wein und sang Lieder aus altüberlieferten Zeiten. Am nächsten Morgen schied der Prinz am Tor von Schwester und Schwager.

Wieder zog der Prinz durch das Land, kam an den Wald aus Gold, durchwanderte ihn, erreichte den Berg mit der Burg darauf und klopfte an das Burgtor. Aufgetan wurde ihm von einer mageren Dame mit wirrem, schwarzem Haar. Er schilderte sein Begehr und bat, eingelassen zu werden. „Nun, lieber Junge“ sagte die Dame „Gerne lasse ich dich ein. Jedoch musst du mir vorher helfen, so du kannst. Kannst du nicht, so kann auch ich dich nicht in die Burg einlassen. Wisse, mein Herdfeuer in der Burgküche ist erloschen. Wenn du es neu entzünden kannst, so sei willkommen, tritt herein und sei der Gast der Herrin des Hauses und ihres Gemahls.“
Der Prinz erwiderte, dass er das Herdfeuer wieder entzünden werde, ohne jedoch zu wissen, wie er es anstellen soll. Nun, als er von der Dienerin in die Küche geführt wurde, entsann er sich des vom Schwager geschenkten Spiegels. Als Dienerin und Prinz an der schmalen Tür der Küche angelangt waren, sprach der Prinz die Dienerin an. „Warte einen Moment, Freundin. Bevor ich das Herdfeuer neu entzünden werde, will ich dir ein Geschenk geben, dafür, dass du mir so großes Vertrauen erwiesen hast und mich mit in diese Burgküche genommen hast. Hier, sieh hin, diesen kunstreich gearbeiteten Spiegel will ich dir schenken.“
Er reichte der Frau den Spiegel. Sie strich mit dem Finger über die in den Rahmen eingelassenen Ornamente und ihr Blick hellte sich auf. Sie nahm den Griff des Spiegels und blickte in das Glas hinein. Da sah sie nun ihr Gesicht. Schöner, heller und freundlicher, als es im schnöden Licht der wirklichen Welt je erschienen wäre. Es war ganz so, als hätte die Sonne selbst die Dienerin geküsst und ihr Antlitz auf immer veredelt in jenem Spiegelbilde. Jedoch war es anders als ein bloßes Trugbild. Was die Dienerin dort sah, war ihr eigenes Gesicht, jedoch mit den Augen der Liebe betrachtet. So erhält jedes Wesen und jedes Ding auf der Erde einen besonderen Anschein, wenn es mit den Augen der Liebe angesehen wird und diese Wahrheit gilt bis zum heutigen Tage.

Die Dienerin vergaß alles um sich herum. Die Küche, das Herdfeuer, sogar den jungen Prinzen. Gebannt blickte sie in den Spiegel und war tief gerührt. Dem Prinzen war die Sache fast unheimlich. Auch hatte er ein viel zu gutes Herz, als dass er sich einfach hätte davonschleichen wollen. So rüttelte er die Dienerin sanft am Arm. Da sah sie ihn mit sichtbar verwandeltem Wesen an und sagte: „Geh nun zu deiner Schwester! Ich will das Herdfeuer selbst wieder in Gang bringen. Geh nur und hab Dank!“

Der Prinz verschwendete keine Zeit. Eilig lief er in die oberen Geschosse der Burg und fand auch bald das Zimmer, in dem seine Schwester war. Abermals wurde frohes Wiedersehen gefeiert, Wein getrunken, gelacht und gesungen! Als der Prinz nun sprach und sagte, er wolle seine Schwester gerne mit sich nehmen, vielleicht könne sie gar mit ihm an das Schloss der Sonnenkönigin reisen und Freispruch für seine zwei Schwäger erwirken, da begann die Schwester zu weinen. „O, Bruder, ich kann nicht! Wisse, auch mein Mann ist durch böse Mächte verwunschen und muss nun in der Gestalt eines grünen Waldteufels die Erde bewandern. Auf einer seiner Reisen hat er sich nämlich mit dem Geist der Rache angelegt, als er sich weigerte, ein Unrecht, dass ihm getan wurde, mit gleicher Münze heimzuzahlen. So hat ihn der Geist der Rache in einen scheußlichen und grünen Waldgeist verwandelt. O, und nur die Sonnenkönigin hat die Macht, ihn von diesem garstigen Zauber zu befreien!“
Als sie so klagte, sprang mit einem Mal die Türe auf und herein trat der Ehemann der dritten Schwester. Einen Moment lang hatten Schwester und der jugendliche Held unserer Erzählung Angst, nun könne großes Unheil geschehen. Aber auch dieses Mal wurde der verhexte Schwager froh im Herzen, als er erfuhr, wen er vor sich hatte. Er klopfte dem Prinzen auf die Schulter und forderte ihn auf, zu erzählen, woher er kam, wohin er ging und was er bisher erlebt hatte. Und es wurde erneut gesungen und getrunken!

Der Abend war schon weit gediehen und der Prinz hatte seinen Bericht geendigt. Da fasste er seinen Schwager an der Hand, sah in fest an und sagte: „So, lieber Schwager. Die Zeit ist gekommen, wo ich mich zur Nachtruhe begeben will. Ich danke euch für die Gastfreundschaft in eurem Haus. Du hast mich bisher nicht darum gebeten, aber da ich ohnehin dorthin muss, so will ich auch dein Anliegen mit an das Schloss der Sonnenkönigin tragen und will sie bitten, dich loszusprechen von deinem Fluch.“
Froh sagte auch dieser dritte Schwager dem Jüngling seinen Dank. Dann wurde er ernst und sprach: „Hinter diesem Wald aus Gold befindet sich ein weites Grasland. Das musst du durchschreiten, bis du an einen hohen Berg kommst, den höchsten, den die Menschen kennen. Er wird 'Thron des Lichts' geheißen. Seine Wände sind steil und glatt, und ich glaubte nicht, dass ein menschliches Wesen diesen Berg erklimmen kann. Jedoch, du bist anders als alle Männer, die ich in meinem ganzen Leben getroffen habe. Wer weiß, vielleicht bist du derjenige, der es schaffen kann.
Erklettere also diesen Berg. Auf dessen Gipfel ist eine große Fläche aus Eis und Schnee. Auf dieser Ebene steht das Schloss der Sonnenkönigin. Viel Glück! Der Segen Gottes sei mit dir!“
So sprach er und reichte dem jungen Prinzen ein Klettergeschirr. „Es ist ein besonderes Klettergeschirr, aus hartem Metall, die Seile weich und biegsam und dennoch unzerreißbar“ Weiterhin gab er ihm ein unscheinbares, grobes Kästchen aus Holz. „Hier, nimm. Öffne dies Kästchen, wann immer du in Not bist! Nimm beides, ich schenk's dir. Und nun Gottes Segen, Gottes Segen, Bruder!“

***





Am Tag darauf begann der Prinz seinen Weg, zog durch das riesige, weite Grasland im Osten, ernährte sich von Wurzeln, Beeren, kleinen Tieren und Vogeleiern auf dem Wege. Es schien ihm die Sonne den ganzen Tag auf den Kopf, da kaum Bäume, sondern vornehmlich Büsche, Sträucher und Gräser die Ebene bedeckten. So zog er viele Tage dahin. Nachts schlief er eingewickelt in eine Decke aus Schafswolle, über ihm der Mond und das Sternenzelt. Ab und an rief ein Vogel im Dunkeln, zog eine Krähe, unbemerkt von dem Wanderer, am Himmel dahin, von Süd nach Nord, in der festen Dunkelheit.

Am neunten Tage erreichte er den Berg, der bei den Leuten „Thron des Lichts“ genannt wird. Hoch und groß stand er vor ihm, wie eine Speerspitze, die den Himmel durchbohrte, weiß wie Licht, kalt und glänzend vom Eis und dem glatten Gestein, wie ein Schmuckstück aus Silber. Am Fuße des Berges rastete der Jüngling und am Folgetag begann er seinen Aufstieg.

Drei Tage und Nächte kletterte der Prinz, schlief in Felsspalten, eingehängt in glatte Wände, aß nur Moose und Flechten, die selten in den Wänden wuchsen. Drei Tage und Nächte kletterte der Prinz, am Tage verbrannt vom Licht der Sonne, in der Nacht gestochen vom Blinken des Nordsterns, der hoch, noch höher als der Gipfel stand, wie eine Krone aus Eisen.
Drei Tage und Nächte kletterte der Prinz und erreichte schließlich den Gipfel und die besagte Ebene. Weit lag sie vor ihm, weiß wie ein Tischtuch auf königlichem Tische. Kalte Luft schnitt ihm ins Gesicht. In der Mitte der Ebene sah er das Schloss aufragen, in dem die Sonnenkönigin wohnen musste. Groß und erhaben, über den Schlosstürmen, stand strahlend die Sonne, gleißend wie Gold an der Hand der Königin, hoch über der Welt.
Der Königssohn trat an das Tor des Schlosses und klopfte an. Von drinnen drang eine raue Stimme: „Was willst du, verwegener Recke, und warum klopfst du an?“
„Zur Sonnenkönigin will ich.“, antwortete der Prinz. „Und was willst du von ihr?“, antwortete die Stimme. „Nichts, was dich interessieren müsste. Mach die Tür auf! Ich werde ihr selbst sagen, was ich von ihr will.“ Wiederum antwortete die Stimme hinter der Türe: „Oh, sag, willst du am Ende um die Sonnenkönigin werben?“ „Vielleicht. Was betrifft's dich?“, sagte da der Prinz. Von hoher Zinne herab erklang nun ein Lachen, ohne dass man hätte sagen können, wer da lachte. Eine Stimme, wieder von hoch oben herab, sprach: „So öffnet die Tür und geleitet den Burschen vor dem Tor in unser feinstes Gastgemach.“
Die Tür sprang auf und ein ziehender, sausender Wind packte den Prinzen und trug ihn in einen Raum, der mit dicken Steinmauern gebaut war. Licht drang nur durch ein kleines Fenster, das die Form eines Herzens hatte. Der Boden war ebenfalls aus kaltem Stein. So wie der Prinz in den Raum geweht war, schlug die massive Tür zu.

Als sich der junge Mann im Raum umsah, erblickte er 28 alte Männer in den Ecken des Raumes sitzen. Alle waren blass im Gesicht und wirkten krank und hoffnungslos. Ihre Haare und langen Bärte waren grau und verfilzt, ihr Gesicht voller Dreck.
„Wer seid ihr und was macht ihr hier?“ fragte der Prinz verwundert.
„Du siehst uns, wie wir jetzt aussehen. Einst waren wir alle Prinzen und Fürsten edlen Geblütes aus allen Teilen der Erde, in unseren besten Jahren, schön und kräftig, mutig und stolz.“, antworte einer. „Wir alle wollten hier um die Hand der Sonnenkönigin anhalten. Ich sitze hier nun schon zweihundertdreißig Jahre und jener dort in der Ecke, er ist der älteste von uns, ist schon seit sechshundert Jahren an diesem Ort.“
„Seid zuversichtlich, edle Greise“, erwiderte der Prinz. „Wir werden uns befreien. Neunundzwanzig gescheite Menschen finden in jeder Situation einen klugen Plan!“
Doch die alten Männer schüttelten nur ihre grauen Köpfe, murmelten Unverständliches und jammerten in ihre Bärte hinein.
Da pochte es am Fenster und eine zarte, weiße Hand warf eine handvoll Gerstenkörner in den Raum. Auch wurden drei Krüge Wasser mit einem Seil in den Raum hinuntergelassen. Die Greise sprangen mit ungeahnter Wendigkeit auf, leckten die Gerstenkörner vom Boden und stürzten sich auf die Wasserkrüge. „Stille auch du deinen Hunger, mein Sohn. Diese Gerste ist unsere einzige Nahrung, dieses Wasser ist unser einziges Getränk.“ „Niemals soll es dazu kommen!“, entgegnete der Prinz. „Ich will keinen Hafer vom Boden picken, und auch das Wasser trinke ich nicht! Bin ich denn eine Gans?“ „Warte ab, der Hunger wird dir deine Lektion schon lehren, Söhnchen.“ sprach da der alte Mann und sammelte schnell noch einige Körner, die vor ihm auf dem kalten Fußboden lagen.

Der Prinz jedoch griff sich einen Krug und schleuderte ihn voll Gewalt zu dem Fenster hin, durch das der Wasserkrug hinabgelassen worden war. Auch warf er eine Handvoll Gerste durch das Fenster oben in der Wand.
„Was tust du?“, riefen da die alten Männer entsetzt. Bis zum morgigen Tag bekommen wir nichts mehr zu essen!“ „Keine Angst, nehmt ruhig auch die elenden Körner und werft sie ihr in die Augen, damit sie fortan keinen Menschen mehr verspotten soll.“ Erneut nahm er eine Hand Körner, um sie durch das Fenster zu schleudern. Die Greise stöhnten verzweifelt und rauften sich die Haare. Da nahm der Prinz das Kästchen zur Hand, das sein Schwager ihm vor der Abreise geschenkt hatte. Er tat es auf und, ungeachtet der kleinen Größe des Kästchens, fand er darin die ausgefallensten Speisen und Getränke. Er zog edlen Schinken, vier verschiedene Brote, Weine, mehrere Sorten Bier und einen runden Laib Käse hervor und, egal wie oft er etwas aus dem Kästchen nahm, sofort lag darin eine neue, raffinierte Speise bereit. Da ging es mit einem Mal heiter zu in dem Verlies. Die Greise und der Prinz aßen und tranken so viel sie konnten, auch machten Wein und Bier sie fröhlich, und so begannen sie zu singen, zum Schluss sogar einen mehrstimmigen Kanon.

Eine Dienerin der Sonnenkönigin spähte durch das kleine Fenster herein und betrachtete die wunderliche Szene. Sie eilte zu ihrer Herrin und berichtete ihr von dem Freudenfest, das da dank des Königssohnes und des magischen Kästchens in jenem Kerker gefeiert wurde.
„Geh!“, sagte da die Sonnenkönigin, „Geh zu dem Prinzen und sag ihm, dass ich das Kästchen kaufen will. Sag ihm, die Sonnenkönigin befiehlt ihm, ihr das Kästchen zu verkaufen.“
Wie ihr geheißen war, ging die Dienerin in das Verlies und sagte zu dem Prinzen: „Gib mir dieses verzauberte Kästchen. Die Sonnenkönigin befiehlt dir, es ihr zu verkaufen.“ Der junge Königssohn jedoch beachtete ihre Worte nicht. „Komm zu uns, liebe Dienerin, setze dich! Nimm dir eine Scheibe guten Brotes, schneide dir von jenem Käse herunter und, vor allem, verschmähe nicht den wunderbaren Wein! Danach wollen wir weiter reden.“ Sie tat, wie er sagte und nahm von allen Speisen, auch sprach sie dem Wein nicht schlecht zu. Als so eine Stunde dahinging, wurde die Sonnenkönigin unruhig, da ihre Dienerin noch nicht zurückgekehrt war. So entschied sie, selbst nach dem Rechten zu sehen.

Licht durchflutete den Kerkerraum, als die Sonnenkönigin die Tür aufstieß. Sofort wurde sie ihrer Dienerin gewahr und rief zornig: „Du unzuverlässige Faulenzerin! Steh auf und folge mir! Dann lege Rechenschaft ab über den Auftrag, den ich dir gab!“ Die Dienerin war mittlerweile von dem genossenen Wein keck und übermütig geworden. Geradeheraus sagte sie der Sonnenkönigin ins Gesicht, dass sie keine Not sehe, die Runde schon zu verlassen. Der Wein schmecke vorzüglich, auch die Speisen seien nicht übel und überhaupt müsse sie hier im Schloss viel zu viel arbeiten. Kurz und gut: sie bleibe, die Königin solle morgen wieder kommen, aber nicht vor der Mittagszeit, und sie solle auch das Frühstück für die Dienerin nicht vergessen zu bringen.
Zornesflammen umwallten da das schöne Gesicht der Sonnenkönigin. Sie sah den Prinzen an und rief: „Du elender Mensch hast das mit deinem vermaledeiten Kästchen angerichtet! So sprich also, was willst du dafür haben?“ „Oh, du wunderschöne Herrscherin! Du hast mein Herz gewonnen mit deiner Schönheit und deinem wilden Zorn! Was du willst, ich will es dir geben, sei das Kästchen, die Sterne vom Himmel oder mich, deinen untertänigsten Diener!“, rief der Prinz aus.
„Ich nehme das erste, das zweite, und das dritte ebenso.“, erwiderte die Königin nach kurzem Überlegen und reichte dem Prinzen ihre edle und zarte Hand. „Die Sonnenkönigin bin ich. Und du sollst fortan mein Gemahl sein. Dieses Schloss soll auch deines sein. Was du beschließt, ich will es billigen!“

Nach einem Jahr der Vorbereitung für solch ein großes Fest wurde schließlich die Hochzeit der Sonnenkönigin und des jungen Prinzen gefeiert. Alle Türen in dem Schloss der Sonnenkönigin wurden aufgetan, und alle Farben und alles Leben, was darin aufbewahrt war, kamen heraus, um diesen Tag würdig zu begehen. Die Erde wurde hell und Blumen sprossen hervor in den Ländern vor dem Berg, der „Thron des Lichts“ genannt wird. Glockenblumen, roter Mohn und die blaue Kornblume zeigten an den Wegrändern ihr Gesicht. Der Himmel über der Welt färbte sich in ein zartes Rosenrot und der Hochzeitsschleier der Königin, der Regenbogen, war über allen Landen zu sehen.
Und auch das Versprechen des Prinzen, bei der Sonnenkönigin den Freispruch der verwunschenen Schwäger, zu erwirken, wurde eingelöst. Die gute Königin verwandelte alle drei zurück in Menschen und ließ die drei Schwestern und ihre Männer in goldene Triumphwägen steigen. Sie selbst und der Prinz bestiegen ebenfalls einen solchen Wagen und so fuhren fünf Wägen zurück in das Land, aus dem der Prinz aufgebrochen war, um die Eltern zu besuchen. Aber, so wird man nun fragen, wer war in dem fünften Wagen? In dem fünften Wagen fuhr der Abendstern über die Welt, die kleine Tochter der Sonnenkönigin, die sie dem Prinzen geboren hatte.



(Illustration: Leif Günter,
Text: Tobias Amann)

Johanniskrautidyll



Du wächst an den Hängen und Rainen,
sattgolden gekrönt dein Gesicht,
man findet dich zwischen den Steinen,
du Pflanze gewordenes Licht!

Du wächst manches Mal auch auf Trümmern
- am Rande verödeter Stadt,
betupfst sie mit hellgelbem Flimmern,
bedeckst sie mit Blüte und Blatt.

Im Winter da bleibt uns das Öle
vom Licht deiner Blüten durchtränkt
du stärkst uns an Körper und Seele
und gibst, was Natur dir geschenkt.

Du bist eine Pflanze der Erde
hast keinen Altar je geschmückt
und doch haben göttliche Hände
dich nahe zur Sonne gerückt.


(Herr Albenreuther)

Der Autor:
Herr Albenreuther liebt das Wandeln in Wald und Wiesen. Er schreibt gerne ab und an Naturgedichte und ist sich ansonsten selbst genug.

Die unbesiegte Sonne

Am Anfang Adam, durchwanderte die Ackerfluren, die grünen, die Welt war jung, und jung Adam, der Mensch, und schön die grünen Fluren der Welt unter dem Sonnendom.
Unter blauem Himmel glänzte der Stahl, den der Mensch sich gemacht hatte, und er riss den Erdboden auf und sähte Samen hinein, Pflanzen wuchsen, Nahrung daraus, auch das Menschengeschlecht wuchs und blühte hinauf.
O, wie war das ein großer Frühling der Menschenvölker in den Anfängen der Welt!

Und vieles wuchs und reifte, der Mensch griff zum Werkzeug, Städte standen da, wo vormals Wiese gewesen, und Gräben geritzt in Haine und Fluren, und mehr noch: Mauern und Tempel, Tierherden gingen am Hügel umher, und flinker Hirten Ruf sie zu ziehen und zähmen, im Schatten der Bäume. Fürsten und Priester und hohe Frauen wandelten in Halle und hehrem Hof, zwischen schlanker Säule, in geheimnisvollen Gärten, unter ungezählter Sterne Zelt; im Frühling, der Jugend der Welt!

Gepanzerter Reiter, der hurtige Läufer, mächtige Kathedrale, geistreiches Dichten, erklügeltes Werkzeug, künstliches Bauwerk; von ruhendem Hafen zu ruhendem Hafen überfuhren Schiffe stolz in Größe und Pracht das nächtliche Meer!

Die Ruhe des Winters, die Schönheit der Sommer, die Gleichmut der Wellen entlegener Seen an Strände gespült. Und kraftvolle Wälder, die wuchsen nach oben, auch wuchsen die Städte, unzählig die Bücher, die Menschen geschrieben, unzählig die Stunden, die schon gewesen, vom Frühling der Welt an.

Doch niemals erreichen sie die Höhen der Sonne, unbesiegt und unbenannt lebt sie ihnen, den Menschen, davon in ihren höchsten Höhen, die groß und größer sind als alles, was jemals gebaut. Geschlagen ins marmorne Firmament steht es, das stolze Gestirn, ewig oben, nie ergriffen, und nie gekannt, bescheint Türme, und junge Gesichter, auch in Wüsten bleichende Knochen,
und den sich weit davon windenden Fluß in der Ebene drunten.


(Cătălin Păduraru)