Die Frau mit dem Cowboyhut
Ich weiß nicht recht, wann sich diese Frau zum ersten Mal in mein Bewusstsein schob, aber es muss wohl im Herbst gewesen sein, wenn die Bäume in meiner Straße ihre Blätter verlieren und den Blick freigeben auf die gegenüberliegende Häuserfront.
Nach dem ersten, flüchtigen Hinüberschauen blieb mein Blick haften an dem Geschehen auf der anderen Straßenseite. Eine Frau putzte dort mit einem Lappen die Fenster ihrer Wohnung, aber auf eine Art und Weise, wie ich es nie zuvor sah.
Der Lappen flog wild und zackig über die Scheiben, es war ein gehetztes und fahriges Gestikulieren, ein verzweifeltes Wienern und Wischen ohne Anfang und Ende, als ob da jemand einen riesigen Rückstand aufholen müsste und die blanke Panik im Nacken säße.
Und nie war es gut genug, immer wieder ging es von vorne los, immer wieder wurden dieselben Stellen nachgebessert mit verzweifelten und getriebenen Armbewegungen, die fast wie ein Winken um Hilfe wirkten. So als brenne es in der Wohnung und jemand wolle auf sich aufmerksam machen.
Im Laufe der Zeit sah ich diese Frau immer wieder und mir fiel auf, dass sie meistens mittwochs ihre Fenster putzte. Ich fragte mich unwillkürlich, ob die Arme den Rest ihrer Wohnung mit demselben unerbittlichen Perfektionismus und demselben Aufwand abarbeiten müsste und wie viel Kraft sie das wohl kostete. Welcher gnadenlose Plan war zu hier zu erfüllen, welche Wucherrechnung zu bezahlen? "Vielleicht", so dachte ich mir,"reinigt sie in Wahrheit ihre eigene Seele und wird damit niemals wirklich fertig..."
Manchmal kam mir die Frau entgegen, wenn ich auf der unendlich langen Straße, die zur U-Bahn führt, auf dem Heimweg war. Sie war erschreckend mager und ihr Gesicht zeigte Spuren tiefen , seelischen Leides. Der Blick war hart und der Mund nur ein Strich, wenn sie leicht gebeugt an mir vorbei ging. Aber etwas anderes war noch viel auffälliger: sie trug einen gewaltigen Cowboyhut. Und nicht nur das... auch ein markantes Country-Western-Hemd. Dazu derbe Jeans und klobige Cowboy-Stiefel. All das wirkte merkwürdig fremd und unpassend an ihr, fast wie eine Kostümierung. Und sie fiel damit definitiv auf, was in einer Stadt wie Berlin schon etwas heißen will...
Ich versuchte mir einen Reim darauf zu machen und kam nicht recht dahinter. Ob es die Sehnsucht nach dem weiten, wilden Westen war? Diese Klischeevorstellung von endloser Prärie, von knisterndem Lagerfeuer unter sternenübersätem Himmel? Mit Grillenzirpen und Pferdeschnauben?
Auf alle Fälle wäre es ein Leben ohne den Terror des Alltages, ohne all die Herdplatten, Steckdosen, Wasserhähne, Fensterscheiben und die damit verbundenen Verantwortlichkeiten ,die manche Menschen im Innersten zwingen und das Leben zur Hölle machen können. Weil man sich in all den Verpflichtungen verliert... stattdessen eine Welt, die für sich selber sorgt und nichts von einem erwartet. In der man nur ein Gast auf der Durchreise ist.
Ich weiß nicht, ob ich damit richtig liege. Aber ich halte es für möglich.
Der Autor:
Roger W.
Ein Naturfreund, den es in den Großstadtdschungel verschlagen hat und der dort allerlei Erzählenswertes entdeckt.
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