Freitag, 2. November 2018

Eiserner Rhein, Ausgabe 3

EISERNER RHEIN No. 3: "Um den Einsamen schleichen Gespenster"





Raste nicht, Seele
(Filia Umbrae)


Die Eulenjungfrau
(R. Roland)




Zwischen Alpen, Main und Donau
(
Cătălin Păduraru)


Die Eulenjungfrau

Die Eulenjungfrau


  
In einem Dorfe an den Rändern des Bayerischen Waldes lebte vor vielen Jahren eine junge Frau, deren Name Eula war und die im ganzen Dorf nur „Käuzchen“ gerufen wurde. Diese junge Frau war hübsch, aber sehr arm, sodass sie kein Geld hatte um die für eine Hochzeit nötige Aussteuer aufzubringen. Ja nicht einmal für das Brautkleid hatte sie genug Geld. Vor längerer Zeit hatte sie sich in einen örtlichen Jäger verliebt. Auch er war ihr zugetan und man hatte sich insgeheim die Ehe versprochen. Damit dies standesgemäß zugehen konnte, nähte die junge Frau seither nach getanem Tagewerk (denn sie musste auch für ihren eigenen Broterwerb hart arbeiten) Nacht für Nacht an Tischdecken, Bettlaken, allerhand Zierrat, nicht zuletzt auch an ihrem eigenen Hochzeitskleide. Sieben Tage die Woche tat sie so und hoffe, damit binnen spätestens eines Jahres eine ausreichende Aussteuer bereitet zu haben. Eines Sonntagmorgens traf Eula auf dem Weg zum Gottesdienst eine alte Bäuerin, die nahebei wohnte. Diese wusste darum wie alles bestellt war, auch um die harte Arbeit der Eula Nacht für Nacht. Die Bäuerin sah die Jungfrau ernst an und sprach so: „Kind, Kind! Entweihe nicht den Sonntag und seine Ruhe! Nähe nicht in den Nächten von Samstag auf Sonntag. Tust du weiter so, wird erscheinen der Schwarze Herr um dich zu strafen.“

Die junge Frau wollte aber nicht von ihrem Plan lassen. So nähte sie weiter Nacht für Nacht, sieben Tage die Woche. Um bei der Arbeit nicht einzuschlafen, sang sie sich selbst Lieder vor und blickte dann und wann aus dem Fenster in die tiefe Nacht, wo manchmal ein mürrischer Mond argwöhnisch die ruhende Welt betrachten wollte. Von der andauernden Arbeit um die Nachtstunden nun wurde Eula mit der Zeit sehr blass. Auch röteten sich ihre Augen und ihre Haare begannen, graue Strähnen zu zeigen. Vom Singen wurde ihre Stimme brüchig und rau wie die eines Vogels. Mehr und mehr wurde die einst hübsche junge Frau ein Graus denen, die sie sahen und die Einwohner des Dorfes fürchteten sich manchmal im Stillen vor ihr. Eines Tages trat auch der Jägersbursche vor sie hin. Er hatte nun ein Mädel aus einer wohlhabenden Großbauernfamilie kennengelernt und man hatte sich förmlich die heilige Ehe versprochen. Bald wolle man heiraten. So sagte der Bursche der Eula.

Die Pläne der jungen Frau waren nun dahin. Sie aber wusste nichts anderes zu tun. So nähte sie weiter und weiter, Nacht für Nacht, in der verzweifelten Hoffnung, möglicherweise anderswo die Liebe zu finden und heiraten zu können. Sie nähte und nähte bis aus ihren Fingern das Blut tropfte.
Da sprang eines Nachts die Tür auf und im Raum stand der Schwarze Herr, groß und wie ein wabernder Schatten. Er hatte glühende Nähnadeln in der Hand, die warf er der Eula hin. Sie versuchte, die Nadeln zu fangen, aber verbrannte sich die Finger schrecklich an ihnen und lies die Nadeln fallen. Als sie zu Boden gefallen waren, brach ein Feuer aus und Eulas Haus brannte bis auf die Grundmauern nieder. Sie hatte nun nichts mehr und stand in der Nacht, rief schrille und unheimliche Klagelaute in die dunklen Wolken hinein. Doch nicht einmal der boshafte Mond wollte sie hören.

Doch drei Engel im Himmel, die hörten das Klagen und bekamen Mitleid. Sie kamen herunter auf die Erde und verwandelten die junge Frau in einen Nachtkauz. Sie flog davon, hin zu den Gipfeln des Bayerwaldes und stieß weiter ihre schauerlichen Klagen aus. So fliegt sie bis zum Ende der Tage weiter durch die Wälder. Und wer den Schrei des Nachtkauzes hört, der denke an die arme junge Frau und spreche ein Gebet für sie.



Ein schwarzer Vogel fliegt über Land,
singt uns ein leises Lied.
der Mond steht dort am Wolkenrand,
verzieht den Mund,
und flieht.


Drei schwarze Frauen sitzen dicht
an groben Bänken nachts und weben.
sieh nicht dort hin,
dreh dich zum Licht
und dein Gesicht zum Leben.



Illustration: Leif Günter
Text: R. Roland
- erzählt hier eine Sage aus der Oberpfalz
und empfiehlt wärmstens das Lesen von F. X. v. Schönwerths
Sammlung von Sagen und Märchen aus diesem Gebiet.

Raste nicht, Seele

 Raste nicht, Seele












Raste nicht, Seele, wenn Regen noch fällt.
Trägt nicht das Klingen der Nacht deine Welt?
Ruht nicht dein Wahnsinn auf uns’rer Natur?
Raste nicht, Seele, wir lauschen dir nur.

Gräm‘ dich nicht, Seele, der Morgen bricht an,
dort, wo dereinst all dein Wachsen begann.
Haben das Dunkel nicht wir dir vermacht?
Gräm‘ dich nicht, Seele, wir sind deine Nacht.

Schaud’re nicht, Seele, wir treiben dich um,
tanzen bedacht um dein Dasein herum
und lesen, was dereinst du „heimlich“ genannt.
Schaud’re nicht, Seele, du wurdest erkannt.

Wehr‘ dich nicht, Seele, es führt doch zu nichts,
wir sind doch schon, was dir im Inneren sitzt.
Wir halten den Maßstab dafür, was dich lehrt,
wehr‘ dich nicht, Seele, du wirst doch begehrt.

Raste nicht, Seele, wir folgen dir nach,
willst du allein sein, so werde erst wach.
Denn das, was dich umtreibt, riefst du erst ins Licht,
d’rum raste nicht, Seele, das rettet dich nicht.





Illustration: Leif Günter
Text: Filia Umbrae, 29.9.2018

Filia Umbrae schreibt seit ihrem zehnten Lebensjahr Gedichte und studiert in Wien Philosophie.

Ihre großen Helden sind Rilke, Novalis, Goethe, Schiller und Spitteler, deren Einfluss sich in ihren vorranging (schwarz-)romantischen Gedichten immer wieder bemerkbar macht.

Die Schwerpunkte liegen im Leben, Fühlen und Wahrnehmen der Welt und ihrer Mysterien.

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

Sie sehen vor sich die dritte Ausgabe des "Eisernen Rhein", eine Ausgabe, die unter relativ knappen Zeitumständen das Licht der Welt erblickt (vielleicht auch ein wenig "dünner" als die letzten Male - quantitativ, qualitativ aber keineswegs, wie wir meinen!), das Licht der Welt, wobei doch nun die Tage schon deutlich kürzer sind und darüber hinaus die Dunkelheit eine größere Rolle spielt, als noch in den Junitagen unserer letzten Ausgabe. Vielen Dank an dieser Stelle allen Zeichnerinnen und Zeichnern, Schreiberinnen und Schreibern sowie den guten Geistern, die zu dieser Ausgabe einen Beitrag geleistet haben.

Unsere nächste Ausgabe erscheint im Frühjahr 2019. Das Thema und die genauen Termine wird auf dieser Seite in der Terminleiste erscheinen und natürlich wird auch auf unserer Facebook-Seite darauf aufmerksam gemacht werden.

Solange wünschen wir Ihnen eine gute Zeit

Gez.
Die Redaktion

Zwischen Main, Alpen und Donau

Gegen den Aufgang ström ich, der Freiheit, der Musen Gefilde
Laß ich hinter mir lang, eh der Euxin mich noch trinkt.“

- Friedrich Schiller: Donau


November. Zurück liegen die Tage der Weinreife letzten Jahres, voran auf hölzernem Tisch deren Ergebnis: der gute Wein von den Ufern der Donau und ihrer Hügel, einen Handgriff weit. Zurück liegen die Tage der Sonne und ihres Marmorglanzes, vor mir nur Nebelfelder; und alter Sage Kraft im Sinn will ich so nun zu erzählen beginnen, mich auf eine Reise machen: vom Main hinunter zu den Rändern der Alpen, auch die Donau entlang, und hin bis an die Vorhöfe pannonischer Felder.

Auch dort am Maine, dem Moenus, wächst Wein, der edle, vor Jahrtausenden gebracht uns vom Sonnenland her. Am Ufer des Wassers stehen Maines schönste Kinder, Würzburg und Kitzingen zweie davon, wo prächtige steinerne Brücken den Strom überqueren, wo Kirchen und Dome gebaut, wo heiliger Ernst ferner Tage noch sichtbar ist, in deren Kirchenschiffen. Die Menschen dort sind fleißig und fröhlich, wie auch das Winzerhandwerk als des Ortes Sinnbild es fordert: Ernst, Mühe und Arbeit eines, am Ende doch Frohsinn, ins Glas eingegossen.
Dies sind die Franken, die dort leben, ein Menschenschlag nicht Bayer, aber auch nicht der Norden, und näher verwandt dem Herzen des Südens und inniger ihm so denn Berliner Sand.

Fort von Franken gehen wir ab nun, hinan zu den Bergen des Bayernwaldes und seinen Forsten und Flüssen; Schwarzer Regen, Waldnaab und Naab dann: die durchziehen die Wälder, und auch hier säumen uralte Städte und Orte die Ufer. Seine Bürger sind schweigsam, ehrlich und stur, einerseits, andrerseits aber auch gastfrei, gewitzt und schlau, lieben Heimat und Flussufer. Abkömmlinge sind sie von Goten, Slawen und Kelten, stehen fest als solche auf dem Boden des Landes; und blicken doch weiter und weiter hinaus.

Am Ufer der Donau bei Regensburg sieht man schon fast - zumindest vor innerem Auge - die Ränder der Alpen, am Horizont, südlich dahin, hinter noch Laber und Isar, Isara, wie sie die Römer genannt, und Vils und Inn, Aenus: dort stechen die Spitzen der Alpen in weißblaue Himmel und Steinschlag droht - hoher Adler grüßt schon den Süden mit mächtiger Flanke, Winde und Hornklang hört man, wie der Vorzeit Gespenster; dort rasten wir kurz und grüßen sie stumm.
Regensburg, ein Römerkind auch, erbaut auf eines Kastells mächtigen Quadern. Die frohe Stadt ist noch heute südlich von Art, italischer Weise, geziert von reizenden Bauten an den Ufern beidseits. Strudeln hinab folgen wir dem Flusse bis Donaustauf, wo stolze Stufen hinaufgeh'n zum griechischen Tempel und den steinernen Büsten großer Geister darin.

Passau und Linz, wir können sie kurz nur streifen, und schauen doch ihre Schönheiten an, ihre stolze und schwere Geschichte, katholische Frömmigkeit hier und dort, in seinen Domen, und ruhige Andacht in seinen Kapellen. Auch ehrwürdig alte Bürgerhäuser, auch bronzenes Denkmal auf lebhaftem Platz. Geteilt durch die Grenze, doch Schwestern und Brüder im Glauben, und bay'rische Zunge hält beide vereint.

Dem Donaufluss selbst auch einige Worte, dem europäischen, alten Wasser. Grenzfluss und Straße von Raetia nach Noricum einst, Sankt Severins Spuren an ihrem Rande, Wellen spiegeln den Wechsel der Zeiten, den Wandel der Menschen und ihrer Gedanken, die Größe der Kunst, den Adel der Klöster, in Bayern wie Öst'reich, nördlich wie südlich des Wellengestades. Boote sahst du, auch Feldherren überschritten dich; und kehrten mit blut'ger Kleidung zurück. Die Mauern der Städte an deinen Ufern, die Steinplatte ihrer Wege und Straßen im Sonnenlicht. Deine Brücken verbanden Länder, verbanden Menschen, verbanden auch Zeiten, denen gemeinsam die steinernen und hölzernen Brücken des Bayernflusses war'n.

Das Melk der Wachau, Pracht und auch Schande seiner Geschichte, wie mancherorts zwischen Donau und Main. Auf hohem Felsen thront seine Abtei. Vorbei an Krems und Tulln erreichen wir Wien, Vindobona dem Römer, Regensburgs Schwester auf mancherlei Art. Wien die Schöne, die Tausendgerühmte – Stadt der Kaiser und der Traditionen, Stadt des Neuen und Ewigjunge. Hier will ich stehen vor Sankt Stefan und heben die Grußhand der Donau, den Gruß ihr geben auf der Fahrt, hin bis an die Flanken des Paris des Südostens – der Bukarest.

Nun sehe ich wieder Nebelbänke, und Felsen, ein weit'rer Schluck Wein. So denk ich daran, dass einmal, wer weiß, sich diese Länder zwischen Main, Alpen und Donau abkehren mögen vom Norden und seinen Menschen, von Hamburg, Berlin, von Preußens scheinbar ew'gem Sog. Die Schwestern und Brüder in Denkart, Sprache und Geschichte mögen, wer weiß, so dann zusammenstehen in eigener Geschichte und eigenem Land: Wien das Haupt... und Regensburg der Arme Rechter. Und Neues zieht auf!

So nun aber stehe ich, wie im Traum, vor Sankt Stefan zu Wien, erhebe mein Glas; und schweige ein wenig.

















Text: Cătălin Păduraru
Bild: Saskia K., "Donau"

Die Frau mit dem Cowboyhut

Die Frau mit dem Cowboyhut


Ich weiß nicht recht, wann sich diese Frau zum ersten Mal in mein Bewusstsein schob, aber es muss wohl im Herbst gewesen sein, wenn die Bäume in meiner Straße ihre Blätter verlieren und den Blick freigeben auf die gegenüberliegende Häuserfront.

Nach dem ersten, flüchtigen Hinüberschauen blieb mein Blick haften an dem Geschehen auf der anderen Straßenseite. Eine Frau putzte dort mit einem Lappen die Fenster ihrer Wohnung, aber auf eine Art und Weise, wie ich es nie zuvor sah.

Der Lappen flog wild und zackig über die Scheiben, es war ein gehetztes und fahriges Gestikulieren, ein verzweifeltes Wienern und Wischen ohne Anfang und Ende, als ob da jemand einen riesigen Rückstand aufholen müsste und die blanke Panik im Nacken säße.

Und nie war es gut genug, immer wieder ging es von vorne los, immer wieder wurden dieselben Stellen nachgebessert mit verzweifelten und getriebenen Armbewegungen, die fast wie ein Winken um Hilfe wirkten. So als brenne es in der Wohnung und jemand wolle auf sich aufmerksam machen.

Im Laufe der Zeit sah ich diese Frau immer wieder und mir fiel auf, dass sie meistens mittwochs ihre Fenster putzte. Ich fragte mich unwillkürlich, ob die Arme den Rest ihrer Wohnung mit demselben unerbittlichen Perfektionismus und demselben Aufwand abarbeiten müsste und wie viel Kraft sie das wohl kostete. Welcher gnadenlose Plan war zu hier zu erfüllen, welche Wucherrechnung zu bezahlen? "Vielleicht", so dachte ich mir,"reinigt sie in Wahrheit ihre eigene Seele und wird damit niemals wirklich fertig..."


Manchmal kam mir die Frau entgegen, wenn ich auf der unendlich langen Straße, die zur U-Bahn führt, auf dem Heimweg war. Sie war erschreckend mager und ihr Gesicht zeigte Spuren tiefen , seelischen Leides. Der Blick war hart und der Mund nur ein Strich, wenn sie leicht gebeugt an mir vorbei ging. Aber etwas anderes war noch viel auffälliger: sie trug einen gewaltigen Cowboyhut. Und nicht nur das... auch ein markantes Country-Western-Hemd. Dazu derbe Jeans und klobige Cowboy-Stiefel. All das wirkte merkwürdig fremd und unpassend an ihr, fast wie eine Kostümierung. Und sie fiel damit definitiv auf, was in einer Stadt wie Berlin schon etwas heißen will...

Ich versuchte mir einen Reim darauf zu machen und kam nicht recht dahinter. Ob es die Sehnsucht nach dem weiten, wilden Westen war? Diese Klischeevorstellung von endloser Prärie, von knisterndem Lagerfeuer unter sternenübersätem Himmel? Mit Grillenzirpen und Pferdeschnauben?

 Auf alle Fälle wäre es ein Leben ohne den Terror des Alltages, ohne all die Herdplatten, Steckdosen, Wasserhähne, Fensterscheiben und die damit verbundenen Verantwortlichkeiten ,die manche Menschen im Innersten zwingen und das Leben zur Hölle machen können. Weil man sich in all den Verpflichtungen verliert... stattdessen eine Welt, die für sich selber sorgt und nichts von einem erwartet. In der man nur ein Gast auf der Durchreise ist.

Ich weiß nicht, ob ich damit richtig liege. Aber ich halte es für möglich.


Der Autor:
Roger W.
Ein Naturfreund, den es in den Großstadtdschungel verschlagen hat und der dort allerlei Erzählenswertes entdeckt.